Dr. Björn Becker ist Tierarzt mit Leib und Seele. Er schloss sein Tiermedizinstudium in München 2008 ab und leitet zwei Tierarztpraxen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Sein Herz schlägt für Kleintiere, Pferde und Rinder. Themen, für die Björn besonders brennt und sich engagiert, sind neue Therapiemöglichkeiten für unsere Vierbeiner und die Digitalisierung. So wundert es kaum, dass er in seinen Tierarztpraxen Videosprechstunden anbietet und an der Tierärztlichen Hochschule Hannover zum Thema Telemedizin in der Tiermedizin in Deutschland promoviert hat. 

Wenn Sie für Ihren Vierbeiner einen Tierkrankenschutz AGILA abgeschlossen haben, sind tierärztliche Videosprechstunden im Rahmen Ihres Tarifes abgedeckt. 

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Björn ist einer der Tierärztinnen und Tierärzte, auf die Sie dabei treffen können. Um den fleißigen Tierarzt und den Service etwas besser kennenzulernen, hat AGILA Björn zu seinem vielseitigen Tierarztleben und zu den Chancen tierärztlicher Videosprechstunden befragt.

Björn, warum wolltest Du Tierarzt werden?

Ich bin in einer Tierarztfamilie aufgewachsen. Wir hatten das klassische Konzept: Vater Tierarzt, Mutter veterinärmedizinisch-technische Assistentin. Irgendwie drehte sich 24 Stunden täglich alles um Tiere, Tierkrankheiten, Behandlungen. Die Praxis befand sich im Wohnhaus und so lebten wir alle Tiermedizin. Trotzdem brach ich – inspiriert von meiner Schwester – aus und machte zunächst Karriere in der Medienbranche. Dort hatte ich aber auch immer wieder Kunden aus der Veterinärmedizin. Zu meinem 30. Geburtstag habe ich dann nach einer neuen Herausforderung gesucht und was lag näher als Tiermedizin; mit der logischen Folge, die Praxis meines Vaters, und seine Lebensaufgabe, zu übernehmen. 

Seit wann arbeitest Du als selbstständiger Tierarzt?

Ich habe die Praxis von meinem Vater 2014 übernommen. Davor war ich angestellter Tierarzt in der Praxis und davor habe ich meine Werbeagentur geführt.

Was hat dich an der Werbebranche gereizt und was kannst Du aus dieser Phase für deinen jetzigen Beruf mitnehmen?

Gereizt an der Werbebranche hat mich am Beginn meiner Laufbahn die Tatsache, sich kreativ ausleben zu können und nicht in zu engen Strukturen zu denken. Dieses "out of the box thinking“ kann man natürlich auch in der Tiermedizin nutzen. Medizin ist oft sehr wissenschaftlich-strategisch, benötigt aber immer wieder eine Prise „Intuition“, um auch kompliziertere Fälle tiergerecht zu lösen. Der kaufmännische Aspekt der Tätigkeit in der Werbebranche lässt sich ebenfalls auf die Führung einer Praxis übertragen. Auch Marketingmaterial und die Homepage mache ich zum Beispiel selbst. 

Was bedeutet es für Dich, auch nachts und am Wochenende für die Tierbesitzer:innen da zu sein?

Um ehrlich zu sein ist es manchmal ganz schön anstrengend. Auf der einen Seite ist es sehr erfüllend, gerade bei den nächtlichen und wochenendlichen echten Notfällen, dem Tier und damit auch dem Tierhalter helfen zu können. Auf der anderen Seite bedeutet es natürlich auch Einschränkungen im eigenen Privatleben. Da eine Balance zu finden, ist eine große Herausforderung.

Es gibt in Deutschland immer weniger Kliniken und Praxen, die einen Rund-um-die-Uhr-Notdienst anbieten – was bedeutet das für die Tierhalter:innen und vor allem für ihre Tiere?

Je nach Region scheint damit die Gesundheitsversorgung und damit letztlich auch der Tierschutz gefährdet. Tierhalter müssen immer weitere Wege in Kauf nehmen um in, dann womöglich überlasteten, Notdienstpraxen vorstellig zu werden. Gleichzeitig wird die Last der 24/7-Versorgung zum Teil auf die "kleinen Gemischtpraxen" auf dem Land verlagert, die schon am Rand der Belastungsfähigkeit arbeiten.

Welche Chancen bieten Videosprechstunden den Tierhalter:innen?

Die sogenannte Triagierung – also das Einschätzen, wie schwer eine Erkrankung ist – und die Tatsache, dass mindestens ein Drittel der Fälle mittels gründlicher Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe abgewickelt werden können, sind eine riesige Chance die Praxen für die echten Notfälle freizuhalten, aber gleichzeitig dem Tier zu helfen. Lange, unnötige Transportwege und damit verbundene Kosten entfallen in vielen Fällen. Außerdem bieten wir eine Alternative zu den Online-Suchmaschinen, von denen sich der Tierhalter in seiner Not in vielen Fällen fälschlicherweise Hilfe erhofft. Statt allgemeinen Informationen mit teils unklarer wissenschaftlicher Basis liefern wir einen professionellen, individuell auf das Tier abgestimmten und vor allem tierärztlichen Rat. Das kann und wird kein Algorithmus der Welt so leisten, wie der "Live-(Video)Vet".

Wie lange bietest Du schon Videosprechstunden an?

Ich persönlich experimentiere mit Videosprechstunden und den entsprechenden Tools seit Mitte 2019.

Warum?

Ich beschäftige mich schon lange mit der Digitalisierung in der Tiermedizin und habe immer nach Lösungen für meine Praxis und auch für den Praktiker vor Ort gesucht. Viele Lösungen waren mir zu kommerziell und überfrachtet mit aus meiner Sicht unnötigen Funktionen. Als ich dann damals über FirstVet (einer der ersten Telemedizin-Anbieter in Deutschland, Anm. d. Red.) recherchierte hat mich die Philosophie dahinter begeistert: "Individuelle, unabhängige Beratung durch Tierärzte und Tierärztinnen, wobei die Tiermedizin und der Tierhalter im Vordergrund stehen." Die Meinung der Tierärzte und Tierärztinnen hat Priorität und wir können den Weg der Telemedizin so formen, dass sie unseren Ansprüchen entspricht – fast schon einzigartig aus meiner Sicht. Als es dann hieß, “Könntest Du Dir vorstellen als veterinärmedizinische Leitung im Team die Telemedizin in Deutschland groß zu machen?“, musste ich nicht lange überlegen.

Bei welchen Symptomen kannst Du den Tierhalter:innen in der Videosprechstunde besonders gut weiterhelfen?

Gerade triviale Fälle, die nicht sofort in der Praxis vorstellig werden müssen, können schnell gelöst werden. Klassiker sind Hautprobleme, aber auch unkomplizierte Magen-Darm-Beschwerden oder Lahmheiten.

Kannst Du mir ein konkretes Beispiel nennen, wie sich ein Hautproblem oder ein Durchfall per Videosprechstunde lösen lässt?

Hot Spots – also lokale Dermatitiden – sind ein klassisches Beispiel dafür. Viele lassen sich mit Hygiene und Pflegemaßnahmen, die wir im Videocall demonstrieren und erklären können, gut unter Kontrolle und zur Abheilung bringen.

Wo kommt die Erfolgsaussicht der Videosprechstunde an ihre Grenzen?

Wenn der tierische Patient nicht kooperativ ist und sich nicht begutachten lässt oder wenn die Technik einen Strich durch die Rechnung macht.

Aber gibt es nicht auch Probleme, die nicht mittels Videosprechstunde allein gelöst werden können?

Natürlich gibt es Limitierungen: Beispielsweise komplizierte Fälle aus der inneren Medizin oder auch Fälle, wo Medikamente zeitnah eingesetzt werden müssen. Diese schicken wir zum Haustierarzt und geben nur Tipps zur Erstversorgung oder dazu, wie der Tierarztbesuch vorbereitet werden kann. Manchmal schlagen wir zum Beispiel vor, bereits nüchtern zum Tierarzt zu gehen, da möglicherweise eine Blutprobe genommen werden muss. Oder wir leiten an, wie eine blutende Wunde versorgt werden kann, damit der zum Teil lange Weg zum Tierarzt gut überbrückt wird.

Was war Dein schönster Fall in einer Videosprechstunde?

Ich habe mal eine Geburt begleitet und da Geburten, die regelgerecht ablaufen, immer ein schönes Erlebnis sind, war dies natürlich ganz zauberhaft.

Und Dein skurrilster Fall?

Man kommt zu den Leuten ins Wohnzimmer, dabei passieren immer mal wieder kleinere Skurrilitäten (lacht.).

Wünschst Du Dir manchmal in der Praxis, Du hättest einen Termin lieber als Videosprechstunde geführt?

In der Praxis haben wir gern Kontakt zu Patienten, aber insbesondere bei unkooperativen Tieren, meist Katzen, die durch den Transport in die Praxis bereits verunsichert sind, wünscht man sich gern den schützenden Bildschirm zwischen Tier und Tierarzt.

Was sind die Vorbehalte der Tierbesitzer:innen gegenüber tierärztlichen Videosprechstunden?

Viele Halter haben Angst, dass das Tier nicht vernünftig untersucht werden kann oder das sie selbst mit der Technik überfordert sein könnten. Bei einem landesweit agierenden Unternehmen sorgen sich einige Patienten, dass sie nicht mit "ihrem" Tierarzt sprechen, sondern mit einem zunächst Fremden.

Was sind die Vorbehalte anderer Tierärztinnen und Tierärzte gegenüber Telemedizin?

In der Tierärzteschaft sind die Meinungen geteilt. Einige sehen die Veterinär-Telemedizin als Konkurrenz zur niedergelassenen Praxis und vertreten die Meinung, dass ein Tier nur "händisch" richtig gut untersucht werden kann. Dabei ist Telemedizin richtig eingesetzt eine Ergänzung der Praxis, eine Erweiterung der Möglichkeiten und natürlich auch eine Alternative – aber nicht zur Praxis sondern zur Selbstdiagnose im Internet.

Kannst Du ihnen anhand Deiner Erfahrung diese Sorgen nehmen?

Absolut: Den Tierhaltern nehmen wir die Sorgen oft im Vorfeld, wenn wir in der Praxis darüber sprechen, einen der folgenden Termine auch als Videocall zu machen. Bei den entsprechenden Anbietern sind die Tierärztinnen und Tierärzte sehr gut geschult in der Hilfe bei der technischen Umsetzung und bei der Anleitung der Tierhalter, wie sie z.B. das Tier halten und zeigen müssen. Außerdem haben sie noch ein großes Support Team im Hintergrund, was auch im Falle des Falles unterstützen kann.

Wie kann das Format Videosprechstunde auch Tierärztinnen und Tierärzte unterstützen?

Als Experte kann man den Tierärzten oder Tierärztinnen kurze, digitale Wege zu einem erfahrenen Kollegen ermöglichen – quer durchs ganze Land bei minimalem Aufwand. Es ist ebenfalls möglich Kollegen zuzuschalten, wenn eine weitere Meinung benötigt wird. Externe, digitale Anbieter können den Tierarzt zudem außerhalb der regulären Sprechzeiten und im Notdienst entlasten. Es gibt darüber hinaus immer die Möglichkeit, ein etabliertes Softwaresystem in das eigene Praxis-Ökosystem zu integrieren.

Welche Risiken sehen Sie durch die Videosprechstunden für Tierhalter:innen und Tiere?

Das größte Risiko ist weiterhin eine Selbstdiagnose im Internet zu versuchen, anstatt es einfach mal auszuprobieren und eigene Erfahrungen zu machen.

Das Interview führte Tierärztin Melanie Müller.

 

Foto: © FirstVet / Portrait: Björn Becker; Banner: dianabartl / Adobe Stock